St. Petersburg - Petrograd - Leningrad - St. Petersburg

Manfred Niemer

Was ich an Leningrad bewundere, ist St. Petersburg. Andre´Gide 1936

 

Paläste, Kirche, Flüsse, Flüsschen, Kanäle, romantische Brücken und über allem der nordische Himmel mit seinem unvergleichlichem Wolkenspiel und Licht (nicht nur der weissen Nächte!), so präsentiert sich "Piter", das "Venedig des Nordens", "das Fenster zum Westen". Daran hat sich nichts geändert - trotz unterschiedlicher Epochen und Namensgebungen.

Das 1703 auf Pfählen im sumpfigen Newa-Delta als Bollwerk gegen den "Norden" geplante Sankt-Pieter-Burgh, erklärte Peter I.(d.Gr.) 1712 nach seinem Sieg über Schweden zur Hauptstadt. 200 Jahre bestimmte von hier aus das Zarentum die Geschichte Russlands. Peter, der unter dem Eindruck seiner Reisen das alte Russland hasste, wollte in einem brutalen Umerziehungsprozess (pars pro toto: Bartverbot für die Bojaren) sein Land europäisieren. Mit rund 3060! Geboten und Verboten drangsalierte er sein Volk.

Der deutsche Gesandte am russischen Hof, F.C.Weber, schrieb deshalb 1718 entsetzt in die Heimat:

es wird in diesem Reich alles mal ein schreckliches Ende nehmen, weil die Geister so vieler Millionen Seelen wider den Zaren zum Himmel steigen.

Im Laufe von zwei Jahrhunderten wurde unter unermesslichem Leid an Leibeigenen ein Stadtensemble geschaffen, das den Glanz westeuropäischer Metropolen teils überbot und sich gleichzeitig zum geistig-kulturellem Machtzentrum des Zarentums entwickelte. Eine finnische Legende sagt bewundernd: "die Stadt wurde hoch oben in der Luft gebaut und fertig zu Boden gelassen, sonst wäre sie im Sumpf versunken".

Strenge Denkmalvorschriften und chronischer Geldmangel während der Sowjetzeit verhinderten zum Glück die Zerstörung des Stadtkerns. 5 Mio. Petersburger leben heute grossteils in hässlich-trostlosen Satellitenstädten oder zunehmend wieder in renovierten Altstadtgebäuden.

Präsident Putin, ein Sohn der Stadt, hatte angeblich 400 Mio, die Weltbank 150 Mio. Dollar freigegeben, um die ca. 8000 Bauwerke (davon 400 Paläste !),die als Weltkulturerbe unter Denkmalschutz stehen, für die 300-Jahrfeier 2003 zu renovieren. Dass die Sanierung im grossen Stil auch 2006 noch fortgesetzt wird, sahen wir selbst. St. Petersburg hat nach dem Untergang der Sowjetunion wieder "das Fenster zum Westen" weit geöffnet. Unzählige Touristen beleben das Stadtbild und bringen Devisen. Der Newskij-Prospekt, die imposante Prachtmeile, ist gesäumt von luxuriösen (gut bewachten) Geschäften, die wohl nicht für den Normalbürger gedacht sind. Hier wird dem Besucher ein falsches Bild vom "neuen Wohlstand" vorgegaukelt. Bettler und Betrunkene sind kaum anzutreffen. Dafür sorgt vermutlich die allseits und allzeit präsente Polizei.

Die geschichtliche Beziehung der Deutschen zu St. Petersburg ist vielschichtig, leider weniger erfreulich als betrüblich und tragisch.

Berater, Architekten, Generäle, Ärzte, Handwerker und Kaufleute - teils bis zu 40.000 - dienten den Zaren. Diese garantierten dafür Religions- und Bildungsfreiheit. So entstanden deutsche Kirchen und Schulen und die deutsche Sprache wurde die Sprache des Mittelstands (der Adel sprach französisch).Die 1730 erbaute lutherische Peterkirche am Newskij-Prospekt (die wir aufgesucht haben),ist heute Erzbischofsitz und zugleich eine russisch-deutsches Kulturzentrum mit einer Dokumentationsausstellung über die Geschichte der Deutschen in Petersburg.

Die Bindung des Zarentumb an den deutschen Adel war sehr intensiv, schliesslich heirateten alle Zaren - mit Ausnahme von Alexander III-deutschen Frauen. Die dunkle Seite der Beziehungen stellen die beiden Weltkriege dar. Hier irrte Bismarck, wie er als Gesandter in St. Petersburg prophezeite: "mit Russen werden wir nie die Notwendigkeit eines Krieges haben!"

Der I. Weltkrieg führte durch die Oktoberrevolution zur Abschaffung des Zarentums und zur Umbenennung der Stadt in Petrograd sowie dem Verlust der "Hauptstadtwürde", der II. Weltkrieg mit seinen 900 Tagen Belagerung der Stadt und ca. 1.2 Mio. russischen Toten (die Zahl der gefallenen deutschen Soldaten ist mir leider nicht bekannt) stellt eine grausame Tragödie dar.

Eine gutgestimmte, erwartungsvolle Reisegruppe hob am 11.9.05 pünktlich vom Düsseldorfer Flughafen mit einer Tupolow der Pulkovo-Airlines ab und landete problemlos nach gut 2,5 Std. Flug an der südlichen Peripherie von St. Petersburg.

Mit dem Bus ging es nun unter Begleitung von unserem Reiseveranstalter Eduard Politiko vom Adebar-Reiseteam und Frau Olga, einer charmanten, jungen Dozentin für Deutsch und Kunstgeschichte, die uns in den nächsten Tagen durch Petersburg führen sollte, zum Hotel Admiralskaja (Meeresherrschaft) in der Altstadt -Nähe Blok-Museum. Das Hotel, in dem wir unsere "St. Petersburger Nächte" verbrachten, war ordentlich und die Verpflegung gut. An das russische Frühstück, das Elemente eines Mittagsessen beinhaltet, gewöhnten sich die meisten von uns schnell. Die ,die es noch nicht wussten, stellten schnell fest, dass das russische Bier (neben Vodka natürlich) das einzig geniessbare alkoholische Getränk darstellt. Traditionell wird es - wie auch der Vodka - randvoll aus Zahnputzgläsern getrunken (der Inhalt macht's, nicht die Form - laut Eduard!).

Am 1. Abend unternahmen wir einen kleinen Spaziergang. An der Moijka trafen wir auf ein riesiges Backsteintor, das im Dämmerlicht einen sehr romantischen Anblick (C. David Friedrich!) bot. Der Torbogen stellt den Zugang zum "Neu-Holland" dar, einer 1740 von Peter d.Gr. errichten Schiffswerft - heute eine Marinestation. Der weitere Weg führte vorbei am berühmten Mariinskij-Theater. Mit ihm verbinden wir russische Oper und vor allem russisches Ballett, auch die Namen berühmter Tänzer(innen) wie dem jungen Nurejew und der Ulanowa. Leider war des Theater während unseres Aufenthalts geschlossen. Für Sikoras und uns stellte der mächtige, weiss-grüne Bau einen Wegweiser auf den Spaziergängen vom Stadtzentrum zum Hotel dar.

Am Montag in der Früh ging es über die Schlossbrücke auf die Wassiljewski-Insel (wo sich unter Peter die Deutsche Siedlung befand).Diese grösste Insel des Newa-Deltas teilt mit seiner Strelka (=östliche Spitze) die Newa in kleine und grosse Newa. Auf der W.-Insel konzentrieren sich die Universität, wo u.a. Lomonossow forschte, das Pawlow-Institut des berühmten Physiologen und Nobelpreisträgers sowie weitere wissenschaftliche Einrichtungen. Am Universitätskai befinden sich dann die Akademie der Wissenschaft /der Künste sowie das Menschikow-Palais im petrinischen Barockstil erbaut, in welchem Peters bester Freund Alexander M.(ein krimineller Emporkömmling) residierte. Peter, der selbst sehr bescheiden lebte, benutzte das Palais manchmal zu Repräsentationszwecken! Heute ist es eine Dependance der Eremitage. Zahlreiche Museen, u.a. die Kunstkammer, welche der Ausstellung "monströser Raritäten"diente, liegen auch hier. Peter öffnete sie dem Volk, konnte die Bürger aber angeblich nur mit Vodka und Brot bewegen, sie zu besuchen!

Auf der Strelka imponieren die in Weiss erstrahlende, mächtige Börse und die 32 m hohen Rostrasäulen (rostrum = Schiffsrumpf). Sie symbolisieren die Seesiege Peters, hatten früher aber auch eine praktische Bedeutung als Leuchtfeuer. Von der Strelka geniesst man einerseits einen wundervollen Blick auf die Admiralität und den Winterpalast andererseits auf die Peter und Paul-Festung, wohin uns nun der Weg führte. Auf der kleinen Haseninsel erbaute Peter 1704 zunächst aus Holz ab 1706 aus Stein (Domenico Trezzini) eine Festung mit Bastionen in Form eines ungleichmässigen Sechsecks. Die Anlage wurde als Bastion nie geprüft. Sie diente zweckentfremdet als "Russische Bastille" für Polithäftlinge. Hier hielt Peter seinen eigenen Sohn Alexej eingekerkert und liess ihn sterben.

Zur Sicherung der Inselfestung nach Norden legte Peter das Kronwerk an - heute Artilleriemuseum. Lässt man den Blick von dort nach rechts (Osten) schweifen, so sieht man die türkisfarbenen Kacheln der Kuppel eines Minaretts in der Sonne glänzen.

Von der Festung wurde früher jeden Mittag um zwölf Uhr ein Kanonenschuss abgefeuert. Dieser Schuss galt der Bevölkerung als sicheres Zeitzeichen und hieß auch "die Stunde des Admirals", weil von einem Flottenchef berichtet wurde, er hätte sich stets pünktlich zur Mittagsstunde ein Glas Vodka genehmigt. Eine andere (wahre?) Geschichte betrifft den 122,5m hohen Glockenturm der Kathedrale, der sich langsam in eine goldene Nadel verjüngt. Die Krönung der Nadel stellt ein fliegender Engel mit Kreuz dar. Als 1830 ein Blitzschlag den Engel traf und dieser abzustürzen drohte, hat ein Dachdecker - nur mit Seil gesichert - das verhindert. Als Entlohnung erhielt er neben Geld frei Vodka in allen Kneipen - wohl ein unerfüllter Traum vieler Russen!

Die von Trezzini im holländischen Frühbarockstil 1712-1733 erbaute Kathedrale Peter-und-Paul imponiert vor allem durch die lichte Grösse des Raums, die klassizistischen Deckengemälde mit prunkvollen Vergoldungen, die drei opulenten Kristallüster und die grosse Ikonostase aus vergoldetem Lindenholz. Die Kathedrale ist die Grablege der Familie Romanow. Peter I. wurde hier im Alter von 52

J. bestattet. Nikolaus II, der letzte Zar, fand hier am 17.7.1998 mit seiner Familie die letzte Ruhestätte. Zurück ging es über die Newa in das imperiale Zentrum entlang dem Admiralskai vorbei an der Admiralität mit ihrem spätklassizistischen Bau .Seine schlanke Turmspitze ,die eine goldene Nadel mit einem Segelschiff als Wetterfahne ziert, stellt ein weit sichtbares Wahrzeichen der Stadt dar. Die Admiralität bildet den Scheitelpunkt des dreiteiligen Strassensystems der Grossen Seite - hier beginnt der 4,5 km lange, bis zu 60m breite! Newskij-Prospekt (prospect = klare Sicht). Weiter geht es am "Ehernen Reiter" vorbei zum Dekabristenplatz (russ. decabr = Dezember), wo junge Adelige den Eid auf Nikolaus I. verweigerten, weil dieser für das Volk geforderte Rechte verweigerte. Der Aufstand - gleichsam eine vorweggenommene Oktoberrevolution - scheiterte, weil stümperhaft organisiert. Der Zar hängte die Dekabristen oder schickte sie nach Sibirien.

Wir erreichen unser Ziel, die St. Isaak-Kathedrale.

Imposante Daten: erbaut auf 24000 Pfählen, Dach und Kuppel von 112 Granitsäulen getragen, mehr als eine halbe Tonne Gold innen und aussen verwendet, 40 Jahre Bauzeit (1858 beendet),"Fassungsvolumen" 14.000 Menschen !Architekt dieser gigantischen, von der italienischen Renaissance beeinflussten Imponierarchitektur: A.R. de Montferrand.

Die Kathedrale ist eine der grössten Kuppelkirchen der Welt, ein Blickfang der Stadtsilhouette.

Die (geringen) Schäden am Gemäuer durch deutsche Granaten wurden bewusst nicht ausgebessert, sie sollen erinnern.

Im Innern empfängt ein kalter Sakralraum mit überladendem Dekor, aufgelockert nur durch die lichte Kuppel, die allerdings Bewunderung auslöst. Unter der Überfülle der Kunstwerke gefiel mir lediglich das bronzene "Zarentor" mit Motiven aus dem Leben von Alexander Newskij. Telefone, Geldautomaten und Devotionalhandel lassen das Gotteshaus vordergründig als Basar erscheinen, vielleicht noch als Museum der Baukunst, aber nicht als Kirche. Wer den Aufstieg über 260 Stufen auf die Kollonaden der Kuppel wagte, wurde durch einen herrlichen Panoramablick auf Stadt und Hafen belohnt.

Mit dem Bus ging es weiter zum Newskij-Kloster. Alexander Fürst von Nowgorod und Wladimir (Beiname: Newskij),Schutzpatron St. Petersburgs, schlug angeblich 1240 auf dem Areal, auf dem Peter d. Gr. 1710 das Kloster errichten liess, die Schweden. Durch ein riesiges Tor betritt man vom Newskij-Platz kommend das Klostergelände Ein schmaler Weg verläuft zwischen dem älteren Lazarus-Friedhof zur Linken (Nekropole des Adels, berühmter Staatsmänner sowie Architekten) und dem Tichwiner Friedhof zur Rechten (der Künstlernekropole).Hier liegen u.a. Dostojewskij, dessen Grab wir mit Ehrfurcht besuchten und berühmte russische Komponisten wie Tschaikowskij, Mussorgskij, Rimskij-Korsakow bestattet. Beeindruckend waren die künstlerisch interessanten, teils über 200 J. alten Grabskulpturen.

Den Mittelpunkt der Klosteranlage bildet die frühklassizistische Dreifaltigkeits-Kathedrale. Der dreischiffige auf Säulen ruhende Innenraum fasziniert insbesondere durch die im Kerzenglanz erstrahlende ,wunderschöne Ikonostase aus Marmor und Achat. In der ältesten Kirche der Anlage - der Verkündigungskirche - befindet sich das Grabmal von A. Newskij (nicht besichtigt!).Viele Gläubige, vor allem alte Frauen, besuchten die Kathedrale. Als sog Lawra stellt sie ein Nationalheiligtum von höchster Bedeutung für das geistige und religiöse Leben Russlands dar.

Der dritte Tag fiel dann manchen etwas schwer. Olga versuchte, uns im Kurzverfahren die russische Sprache zu lehren und den Vortag historisch zu rekapitulieren. Da fühlte sie sich vermutlich ihrem Beruf als Dozentin verpflichtet!

Die Besichtigung der Erlöserkirche auf dem Blute war nur von aussen möglich. Befremdend wirken die bunten Zwiebeltürme, ,die eigentlich gar nicht in das westeuropäische Stadtbild von Barock, Klassizismus, Historismus und Jugendstil passen wollen. Alexander III hat sie 1883 an der Stelle errichten lassen, an der sein Vater 1881 das Opfer eines Politattentats wurde. Er hat sie bewusst im altrussischen Stil gebaut, um ein Zeichen gegen die westliche Kultur zu setzen, die er für den Mord an seinem Vater verantwortlich machte.

Da es unangenehm windig und kalt war, kam uns die nun folgende Besichtigung von Winterpalast und Eremitage gerade recht.

"Nur ich und die Mäuse können diese Herrlichkeiten bewundern" klagte einst Katharina d.Gr. über ihre Kunstsammlungen in der Eremitage. Eremitage bedeutet übersetzt: Platz der Abgeschiedenheit. Davon kann heute wirklich nicht mehr die Rede sein! Millionen von Touristen werden nach exaktem Zeitplan Jahr für Jahr durch zahllose Prunksäle geschleust. Die Gebäude, die heute eines der grössten Museen der Welt beherbergen, der Winterpalast (1754-1762 von Rastrelli erbaut),die grosse und kleine Eremitage mit dem Eremitage-Theater stellen eines der besten baukünstlerischen Ensembles dar, die innerhalb von 150 Jahren entstanden sind.

Mit ihren 2,7 Mio. Inventarnummern in 6 Abteilungen ist die Sammlung fast 10 Mal grösser als die des Louvre! Zu sehen sind davon nur 65000 Kunstwerke verteilt auf 1000! Säle." Man würde wohl 70 Jahre brauchen, um jedes Exponat auch nur flüchtig anschauen zu können" (B. Pjotrowskij, langjähriger Museumsdirektor). Die Eindrücke von diesen Kunstschätzen, aber auch von dem Museum selbst sind so vielfältig und grossartig, dass man wohl erst nach vielen Besuchen eine "nähere Bekanntschaft" mit ihnen schliessen kann. Den Winterpalast umgibt an der Stadt zugewandten Seite ein riesiger Ehrenhof - der Schlossplatz - geschmückt mit der 47,5 m hohen Alexandersäule - einem 600 t schweren Granitmonolith. Da die Säule im Winter (1834) aufgestellt wurde, ordnete der Erbauer Montferrand an, den Beton für den Sockel mit Vodka zu mischen, um Frostschäden zu vermeiden! Eine 580 m lange, halbkreisförmige ,säulengeschmückte Fassadenfront, in der Mitte von einem gigantischen Triumphbogen durchbrochen, begrenzt den Platz. Das imperiale Halbrund beherbergte zur Zarenzeit das Zentrum der Macht (Ministerien, Generalstab, Gardekorps).

Mit Katharinas Privattheater in der kleinen Eremitage machten die von uns Bekanntschaft, die das "Petersburger Ballett" erleben wollten. In der wohl ausschliesslich von Touristen besuchten Schwanensee-Vorstellung bekamen wir gerade noch ein paar Notplätze direkt am Orchestergraben. Entsprechend laut (trotz Altersschwerhörigkeit!) dröhnte die Musik in meinen Ohren.

Für meine Frau und mich war die Vorstellung eher enttäuschend." Schwanensee" wurde routiniert, aber ohne sichtbare Begeisterung der Künstler-eben für Touristen-"abgewickelt".

"Wer Petersburg nicht vom Wasser aus gesehen hat, hat Petersburg nicht gesehen!" Sehr schön, aber leider etwas kühl war die obligatorische Bootsfahrt durch Kanäle, Moijka und Fontanka. Vorbei an aufwendig und liebevoll renovierten, kraftvoll-farbigen Palastfassaden, zu deren Füssen sich monumentale Kaimauern aus riesigen Blöcken roten, karelischen Granits über Kilometer erstrecken und unter kunstvoll geschmiedeten Brücken hindurch verziert mit meist nautischen Emblemen, aber auch vergoldeten Löwen, Sphinxen und Rössern eröffnet sich schliesslich auf der Newa angelangt, ein atemberaubender Blick. Wir fuhren hinaus bis zum Kreuzer "Aurora", von dem aus der Signalschuss für die Oktoberrevolution (die im November! begann)abgefeuert wurde.

Eine zweite Bootsfahrt mit einer "Raketa"(Turbinenboot) führte uns von Peterhof - ca. 30 km westlich der Stadt, am finnischen Meerbusen gelegen - zurück nach Petersburg. Leider war es sehr windig, regnerisch und kalt. Dennoch, der grossartige Blick auf die Flusseite von Winterpalast und Eremitage entschädigte genug. Einige von uns hatten das Glück, auf die Brücke gebeten zu werden und das Steuer übernehmen zu dürfen, was wir unbeschadet überstanden!!

Die Hinfahrt nach Peterhof, der Sommerresidenz von Peter d. Gr., führte über den Moskau-Prospekt vorbei an Strelna, wo sich die (noch in Bau befindliche) Sommerresidenz von W. Putin d. Gr. befindet.

Peterhof-einfach eine Pracht: der 300 m lange Palast, der sich mit seiner imposanten Barockfassade dem Finnischen Meerbusen zuwendet, erhebt sich auf einem mit Kaskaden und Springbrunnen geschmücktem Hügel. An diesem 1714 von Peter erbautem "russischem Versailles" beeindruckt mehr noch als der Palast der herrliche, 100 ha grosse Park mit seinen Skulpturen, Pavillons und Fontänen. Besonders zu erwähnen ist die "grosse Kaskade" (Samson zerreisst den Löwen = eine Allegorie auf den Sieg über Schweden).Von 225 vergoldeten Skulpturen umsäumt, fliesst sie über einen Kanal in das Meer. Springbrunnen und Kaskaden werden dank einer ingeniösen Technik, die seit über 300 Jahren funktioniert(!),ohne Zuhilfenahme von Pumpen - allein durch Ausnutzung von Niveaugefällen des natürlich zufliessenden Wassers betrieben. Peters Lieblingsplatz war nicht der grosse Palast, sondern das kleine, im holländischen Stil erba

ute "Monplaisir", direkt am Ufer des finnischen Meerbusens. Von hier eröffnete sich uns ein wunderbarer Blick auf das freie Meer.

Schmerzlich bleibt festzustellen, dass Residenz und Park im II. Weltkrieg von deutschen Truppen nahezu vollständig zerstört wurden (hier verlief die Hauptkampflinie). Die Leistung der Restauratoren lässt sich nach Betrachten von Fotodokumenten, die den Grad der Zerstörung zeigen, nicht hoch genug einschätzen.

Zarskoje Selo = Zarendorf = Puschkin

Den Abschluss unserer Palastbesichtigungen stellte der Ausflug nach Zarskoje Selo dar. Ca. 25 km südlich von Petersburg. über die Pulkower Höhen (Hauptkampflinie während des II. Weltkrieges) erreichten wir das Zarendorf. Es befand sich während des Krieges in deutscher Hand, wurde fast völlig zerstört und in 20 Jahren wieder aufgebaut. Viele Kunstschätze - so auch das Bernsteinzimmer - wurden als "Beutegut" abtransportiert. Das Dorf hat sich im Laufe der Jahrhunderte in eine ansehnliche Stadt im Grünen mit um 100.000 Einwohnern entwickelt.

Puschkin drückte hier, in dem Elite-Lyzeum, die Schulbank. Zu seinem 100. Geburtstag 1937 wurde Zarskoje Selo in "Puschkin" umbenannt.

Der Palast und der ca. 600 ha grosse Park waren ein "kleines" Geschenk Peter d.Gr. an seine Frau Katharina. Das Ensemble erfuhr seit der Gründung (1708) zahlreiche bauliche Veränderungen - die bedeutendsten unter Elisabeth und dem genialen Barockbaumeister Rastrelli (1752) sowie unter Katharina d. Gr. (Quarenghi, Cameron, Bush).Einen Höhepunkt stellt der fast 900 m2 grosse Prunksaal von Rastrelli dar - mit seinem vergoldetem Barockdekor, den riesigen Spiegeln und dem Licht, das durch die grossen Fenster alles in Glanz erstrahlen lässt. Im gleichen Atemzug muss man das Bersteinzimmer nennen. Es gelangte 1716 als "Tauschobjekt" (für 55 "Lange Kerls") in Peters Hände. 1755 wurde das Bernsteinzimmer auf Veranlassung der Zarin Elisabeth im Katharinenpalast installiert und von 50 auf etwa 100 m2 durch Einfügen von Spiegeln und Intarsienlandschaften mit Halbedelsteinen vergrössert. Nach seinem Abtransport durch Deutsche im Jahre 1941 ist sein Verbleib ein Geheimnis. Ab 1979 begannen russische Kunsthandwerker mit der Rekonstruktion. Die

Fertigstellung gelang rechtzeitig zur 300 Jahrfeier Petersburgs trotz mancher (vor allem finanzieller) Schwierigkeiten. In diesem Zusammenhang darf erwähnt werden, dass die Ruhrgas AG mit einer Spende von 3,5 Mio. Dollar behilflich war - eine kleine Geste der Wiedergutmachung für all das Leid ,das die Petersburger im II. Weltkrieg durch Deutsche erleiden mussten.

Sicher, der Anblick des "neuen" Bernsteinzimmers ist beeindruckend. Die kunsthandwerkliche Leistung weiss der Laie schwerlich abzuschätzen und zu würdigen - sie ist wohl phantastisch.

Dennoch :ich konnte mich nicht so recht dafür begeistern, ich fand es zu überladen und "unwohnlich".

Wie wir hörten, sind die Handwerker weiter beschäftigt. Sie fertigen eine Kopie der Kopie für einen

arabischen Herrscher!

Weliki (das grosse) Nowgorod

Hier steht die Wiege der russischen Nation! Der ca. 180 km lange Weg dorthin führt über die schnurstracks verlaufende Staatstrasse nach Moskau durch eine trostlose, versteppte Landschaft, in der vereinzelt baufällige, hölzerne Bauernkaten, kaum aber Dörfer anzutreffen sind. Das ist wohl das wahre Russland - ärmlich, heruntergekommen - einfach deprimierend, ein kaum vorstellbarer Kontrast zu St. Petersburg!

Mit der Nowgoroder Erde ist die Geburt des altrussischen Staates verbunden. Hier erhielt die Dynastie der Ruriks im 9. Jh. die Fürstenrechte und herrschte von da ab 7 Jahrhunderte! Nowgorod gilt als der Ursprung russischer Demokratietradition (deshalb von den Dekabristen so verehrt!),aber auch der Bildung (1. Schule durch Jaroslaw den Weisen 1034),der Kunst(Nowgoroder Ikonenmalerei, Gold- und Silberschmiedekunst)und als Zentrum des Glaubens. Als reiche Handelsmetropole am Fluss Wolchow gelegen, der sie in die Sophien- und die Handelsseite trennt, hatte sie Zugang zur Ostsee. Zu unserer Freude hörten wir, dass die Stadt eine sehr aktive Partnerschaft mit Bremen pflegt.

Die Geschichte der Selbstständigkeit endete 1570 als Zar Iwan IV (der Schreckliche!) ein Blutgemetzel unter der Bevölkerung anrichtete und die Stadt verwüstete. Anlass war das Gerücht, Nowgorod wolle sich Litauen anschliessen. Im 17. Jh. wurde die Stadt von den Schweden erobert. Damit verlor Russland seinen Zugang zur Ostsee. Dies wiederum war für Peter d.Gr. der Anlass, die Nordischen Kriege zu führen und St. Petersbug zu gründen. Nowgorod spielte dabei als strategischer Punkt im Nordwesten eine grosse Rolle. Im II. Weltkrieg war Nowgorod ein hartumkämpfter Kriegsschauplatz.

Nach kurzem Aufenthalt in einem Hotel und einer sehr temperamentvollen folkloristischen Darbietung wurden uns zur Begrüssung Salz und Brot gereicht. Anschliessend führte uns Galina (Museologin!)sehr sachkundig durch den Stadtkern (Kreml) auf der Sophienseite. Sophienseite deshalb, weil hier die erste christliche Kirche Russlands, die Sophienkathedrale im 10. Jh. erbaut wurde. Auf einem Hügel thronend präsentierte sie sich uns bei wolkenlosem blauen Himmel und Sonnenschein mit ihren 6 vergoldeten /versilberten Kuppeln und ihrem weissen Gemäuer. Die klare, einfache Architektur, die eindrucksvollen Wandmalereien im Inneren, die Ikonen, die kostbaren Gold- und Silberschmiedearbeiten, schliesslich die gigantischen Leuchter zeugen von Macht und Reichtum des historischen Nowgorod. Bewunderung löste auch das aus 48 Bronzeplatten mit biblischen Motiven geschmückte Tor eines Magdeburger Künstlers aus, das vermutlich als Kriegsbeute im 12. Jh. nach Nowgorod gelangte. Neben der Kathedrale befindet sich die Glockenwand. In ihren Flüchten hängen jetzt neue Glocken. Die alten aus dem 17. Jh. ruhen (sehr dekorativ) am Fusse des Turms. Nowgorod ist eine Stadt der Kirchen und Klöster. Ich zählte insgesamt 32! Diese Kirchen, berichtete Galina, dienten nicht nur als Gottes-, sondern praktischerweise auch als Lagerhäuser. Im Zentrum des Kreml steht ein glockenförmiges, riesiges Denkmal aus Bronze. Es wurde 1862 zur 1000 Jahrfeier Russlands angefertigt und stellt in vielen Szenen anschaulich die Landesgeschichte dar. Weiter ging es stadtauswärts über holprige Strassen, vorbei an teils sehr verwahrlosten Häusern zur Besichtigung des Jurjew-Klosters - einer riesigen Anlage aus dem Jahre 1030. Eindrucksvoll, die auf einem Hügel gelegene Georgs-Kathedrale und die Kreuz-Errichtungskathedrale, welche mit ihren 5 blauen Kuppeln, verziert mit goldenen Sternen einen Sternenhimmel symbolisiert..

Die weitere Fahrt führte uns am Ilmensee vorbei, aus dem der Wolchow entspringt. Den Abschluss des Tagesausflugs stellte der Besuch des Freilichtmuseums Witoslawitzi dar. Etwa 20 der ältesten Holzbauten aus dem Nowgoroder Gebiet vermitteln einen Eindruck über das bäuerliche Leben im alten Russland. Zurück in Petersburg wurden wir gezielt in einen Andenkenladen (gehobener) Klasse bugsiert. Hier fand man von Kitsch bis zu anspruchsvollem Kunsthandwerk "alles", was das Land zu bieten hat - zu saftigen Preisen, versteht sich.

Den Samstag hatten wir für uns! Es hätte noch so Vieles zum Anschauen gegeben - aber alles ging nicht. So musste sich in der Beschränkung der Meister zeigen. Wir entschieden wir uns für einen Streifzug über den Newskij-Prospekt und seine nähere Umgebung. Spontan fallen mir als besonders erwähnenswert ein:

der Kaufhof, 1761 im Auftrag Petersburger Kaufleute errichtet, die hier ihre Waren geschützt vor Feuer, Wetter und anderen Gefahren lagerten, erstrahlt nach Renovierung in neuem Glanz und Licht Sehenswert sind allemal auch das Jelissejew-Haus, ein Feinkosttempel in grossartigem Jugendstil und das Literatur-Cafe´. Hier kehrten nicht nur Puschkin, Dostojewskij, Tschaikowskij und andere Berühmtheiten ein, sondern auch Sikoras und Niemers.

Bei Borschtsch, hervorragendem Vodka, heisser Schokolade und Kuchen konnte man in sehr angenehmer Atmosphäre das historische Interieur bewundern und ungestört plaudern.

Erwähnenswert sind aber auch das Singer-Haus (Haus des Buches) mit seiner eiförmigen Turmhaube, gekrönt von einer gläsernen Weltkugel. Gegenüber befindet sich die Kathedrale der Mutter Gottes von Kasan. Wie riesige Arme öffnen sich die Kollonaden mit 96 vierreihig angeordneten korinthischen Säulen zum Newskij-Prospekt. Die Kathedrale, 1811 geweiht, ist dem

Petersdom im Vatikan nachempfunden, stellt jedoch keineswegs eine Kopie dar. Seitlich vom Newskij-Prospekt laden die Kanalufer zum Spaziergang ein.

Besonders schön ist der Blick von der Brücke über den Gribojedow-Kanal auf die Erlöserkirche oder auch von der Brücke über die Moijka auf den Stroganow-Palast, eines der schönsten Barockschlösser Petersburgs neben dem gerade renovierten in Gelb und Weiss erstrahlendem

Scheremetew-Palast in der Fontanka. Hier -in ihrem "Fontänenhaus" - lebte die grosse Lyrikerin Anna Achmatowa. Schon etwas fusslahm schleppten wir uns vorbei an der Wladimir-Kirche (der Kirche der Hofbediensteten) zum Kusnetschnij-Markt! Uns erwartete ein riesiges Angebot von Lebensmitteln bis hin zum besten Kaviar appetitlich und sauber präsentiert. Sehr freundliche Verkäuferinnen luden zum Verkosten ein, wovon insbesondere unsere Frauen Gebrauch machten. In Erinnerung ist mir vor allem der Honigstand geblieben. Hier trafen wir zufällig zwei sympathische Gymnasiasten aus Chemnitz, die im Schüleraustausch bei russischen Familien lebten. Bewaffnet mit einem kleinen Strohbesen, den meine Frau einer reizenden georgischen Mamutschka abgekauft hatte, schlenderten wir der Fontanka entlang, vorbei am Mariinskij-Theater, zurück zum Hotel - nicht ohne uns vorher in "unserem Konsum" nach Überwindung von allerseits belustigenden Sprachproblemen mit schmackhaftem, dunklen Roggenbrot und dem Vodka der Präsidenten eingedeckt zu haben.

Der letzte Abend in Petersburg galt dem Abschied. Der Vodka tat der Stimmung gut und lockerte den Rednern die Zunge. In gemütlicher Runde liessen wir die Reise ausklingen und waren uns einig, eine interessante, erlebnisreiche Woche in angenehmer Gesellschaft verbracht zu haben. Auf der problemlosen Rückreise wurde schon lebhaft über das Projekt "Baltikum" diskutiert.