Herr Artiuch hatte zu diesem Zeitpunkt selbst noch keine Ahnung von der Käseherstellung. Aber er war fasziniert von diesen Prozessen und wusste, dass man in diesem Abschnitt des Memeldeltas seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine besondere Käsesorte produzierte – Tilsiter Käse, dessen guter Ruf mit der Zeit rund um den Erdball gegangen ist. Und das brachte ihn auf die mutige Idee, in diesem Gebäude eine kleine Käserei zu eröffnen, um dort auch Tilsit-Käse zu produzieren.
Die Anfangsphase war sehr schwierig. Es gab weder Wissen noch Berufserfahrung noch geschultes Personal. Die ersten Versuche in der Käserei waren so erfolglos, dass mehrere Tonnen Milch, die zur Käseproduktion gingen, den Schweinen gefüttert werden mussten. Das hat aber Ivan nicht entmutigt. Er musste sich zunächst selbst gründlich in die Verfahren rund um die Herstellung von Käse vertiefen, und die ersten Erfahrungen hierzu machte er in Russland. Aber das war offensichtlich nicht genug, also reiste er wie einst Peter der Große, selbst nach Europa, um dort aus erster Hand alles zu dem komplexen Prozess der Käseherstellung zu studieren und teils auch für seine eigene Produktion zu übernehmen.
Ivan erinnert sich noch, dass der dortige Meister Klaus Tipke aus der Nähe von Hamburg zunächst den Erfolgsaussichten seines Käserei-Projektes sehr skeptisch gegenüberstand. Daher war zu beweisen, dass man auch in Russland Käse von ausgezeichneter Qualität produzieren kann. Es folgten mehrere Reisen nach Deutschland und in die Schweiz, um weitere Erfahrungen zu sammeln. Es wurde in eine moderne Ausstattung der Produktionsanlage investiert und derselbe Herr Tipke, der kürzlich die Käserei in Neman besuchte, schätzte die Qualität der dort produzierten Käsesorten als hoch ein.
Hier halfen übrigens die Sanktionen nach den Ereignissen in der Ukraine 2014. Zuerst verhängte die EU Sanktionen gegen Russland, und dann erfolgten umgekehrt Sanktionen. Waren zuvor in den Regalen der Kaliningrader Supermärkte hauptsächlich litauische, polnische und deutsche Käsesorten zu kaufen, entwickelte sich nach der Einführung der Sanktionen zunehmend eine Nische, die nun mit Erzeugnissen aus der heimischen Produktion gefüllt werden konnte.
Angefangen mit ein paar hundert kg Milch pro Tag, kam man heute auf ein Niveau von ca. 40 Tonnen pro Monat, die am Ende etwa 4 Tonnen Käse pro Monat ergeben. Heute sind es bereits 10 Käsesorten, vor allem Tilsiter, Caciotta, Emmentaler, Camembert, Gouda und andere. Es ist nach wie vor keine industrielle Produktion, bei der die Qualität der Käse ständig kontrolliert wird. Es gibt übrigens auch einen eigenen Kuhbestand- etwa 35 Stück, der bald auf 70 Kühe anwachsen wird.
Der Absatz von Produkten erfolgt in Handelsketten und auf Messen in Kaliningrad und der Region. Außerdem kann man in ausgewählten guten Restaurants den echten Tilsiter genießen. Momentan wird auch der Verkauf über das Internet aktiviert, so dass Ragniter Käse bereits in einigen Supermärkten in Moskau zu finden ist.
Gut angenommen werden auch die inzwischen jährlich stattfindenden Käse-Festspiele in Ragnit, an denen Vertreter aller Käsereien der Region sowie aus dem Ausland teilnehmen. Das letzte große Festival fand am 14. und am 15. September 2019 in Neman an den Burgmauern statt und wurde mit einem großen Erfolg gekrönt. 16 teilnehmende Käsereien mit über 70 Käsesorten stellten sich vor. Es gab Verkostungen, Workshops und viele andere Unterhaltung, und natürlich konnte jeder Besucher Käse nach seiner Wahl kaufen. Für zwei Tage lang haben ca. 10 000 Menschen das Festspiel in Ragnit besucht – so viele Menschen auf einmal hat das kleine Neman lange nicht gesehen.
Aktuell wird außerdem die Möglichkeit geprüft, den Käse auch in Deutschland zu vermarkten. Schließlich kommt dieser patentierte Tilsiter aus der Gegend, in der er schon immer traditionell hergestellt wurde. So wird er zumindest aus Neugier gekauft werden, meint Ivan. Zuvor müsste aber noch die Produktion bis auf 100 Tonnen Milch pro Monat erhöht werden, was in den nächsten Jahren geschehen wird.
DER IMKERHOF - EINE HOTELANLAGE IM FACHWERKSTIL AM ME MELUFER IN UNTEREISSELN
Während eines Interviews stellt Ivan auch sein neues Hotelprojekt in der Nähe von Ragnit vor. In Untereisseln direkt am Memeler Flussufer auf dem Gelände eines früheren Bauernhofes ist z.Zt. ein Hotel im Fachwerkstil als Mittelpunkt mit weiteren darum gruppierten Nebengebäuden im Entstehen. Ein Gebäude im Stil eines alten Imkerhof ist bereits instandgesetzt und verfügt z.Zt. über 6 Zimmern. Demnächst werden 13 weitere Gästezimmer innerhalb der Anlage hinzu kommen. Als Fan der Fachwerk-Kunst hat Ivan dieses Projekt bereits weitgehend selbst entwickelt. Sobald die Grenzen geöffnet werden, plant er eine Reise nach Deutschland, um sich dort mit Fachleuten für den Aufbau der Gebäude im Fachwerkstil zu beraten.
Zu den weiteren Planungen gehört u.a. die Wiederinstandsetzung des berühmten Daubas-Weges, an den sich die älteren Bewohner von Ragnit bestimmt noch erinnern. Der Wanderweg beginnt im Zentrum von Ragnit und verläuft weiter auf dem Höhenzug oberhalb des Memel-Ufers bis nach Ober-Eyßeln und dort zum Bismarckturm. Momentan ist es kaum möglich, diesen historischen Weg entlang wandern. Die Daubas ist mit umgestürzten Bäumen und an einigen Stellen mit Müll überhäuft, außerdem machen kleine der Memel zufließende Bäche das Passieren unmöglich.
Parallel zum Ausbau des Hotels Imkerhof werden zeitnah auch die Zimmer im Deutschen Haus instandgesetzt und hergerichtet werden. Ivan ist hierfür sehr daran interessiert, mehr über die Geschichte und die früheren Eigentümer dieses Hauses zu erfahren. Wenn Sie, liebe Leser dazu mehr Information über die ehemaligen Besitzer haben, vielleicht auch noch Fotos der Innenräume, schreiben Sie bitte an unsere Kontaktadresse info@adebar-reiseteam.com. Wir leiten diese dann gern an Ivan weiter.
Herr Artiuch lädt Sie herzlich nach Ragnit ein. Als Gäste des DEUTSCHEN HAUSES sind Sie jederzeit willkommen, in der Käserei während einer Führung zu erleben, wie der berühmte Tilsiter Käse hergestellt wird, an einem Workshop oder einfach nur an einer Käseverkostung teilzunehmen. Das Restaurant lädt zu einem leckeren Mittagessen ein und bietet auch die Möglichkeit der Organisation eigener kleiner Festlichkeiten.
Zu einem etwas späteren Zeitpunkt sollte dann neben einem Aufenthalt im Hotel Imkerhof bei gutem Wetter auch ein Spaziergang auf dem wieder instandgesetzen DAUBAS in Richtung Untereißeln möglich sein.